Färöer: Hanus Egholm fährt jeden Tag durch einen besonderen Kreisverkehr

Reportage

189 Meter unter dem Meer.

Der Eysturoyartunnel verbindet die zwei größten Färöer-Inseln miteinander, verkürzt Lieferwege und bietet den weltweit einzigen Unterwasserkreisverkehr. Für Hanus Egholm ist die Attraktion vor allem eine Erleichterung des Arbeitsalltags.

Mehr als drei Jahrzehnte Lkw-Erfahrung: Hanus Egholm.


Und plötzlich liegt Schnee. Vom offenen Nordatlantik ist in der Nacht eine kalte Front über die Färöer-Inseln hinweggezogen. Gut, dass an Hanus Egholms Arocs Reifen mit Spikes montiert sind. Der 54‑Jährige verlädt die letzten Paletten mit Lebensmitteln im Kühlkoffer seines Arocs 3263. Dann geht es los in Richtung Norden.

„Seit 2002 fahre ich die Strecke nach Klaksvík“, erzählt Hanus während er die Inselhauptstadt Tórshavn hinter sich lässt. Damals kam der gebürtige Insulaner nach zehn Jahren in Dänemark wieder zurück auf die Insel – wie viele andere Färöer auch. „Ich hatte Heimweh“, sagt Hanus, der mit seiner Familie in Tórshavn wohnt und ein Sommerhaus auf einer der kleineren Inseln hat. Nach seiner Rückkehr in die Heimat fing er dann als Fahrer bei Poul Michelsen an.


Mit Schnee ist jederzeit zu rechnen.
Mit Schnee ist jederzeit zu rechnen.

Seit 20 Jahren eine Strecke.

5.000 Mal, schätzt Hanus, ist er seit 2002 nach Klaksvík gefahren. Jedes Mal mit frischen Lebensmitteln und Milchprodukten an Bord. „Bis 11 Uhr vormittags muss die frische Milch im Supermarktregal stehen.“ Die Besonderheit dabei: Zwischen Tórshavn und Klaksvik lagen bisher rund 70 Kilometer schmale Landstraßen und eine Brücke. „Bis 2006 musste ich sogar noch eine Fährfahrt einplanen“, erinnert sich Hanus. Ein Tunnel ersetzte diese Fähre im Jahr 2006. Und ein weiterer Tunnel hat Hanus Arbeitsleben im Jahr 2020 erneut deutlich verändert: der Eysturoyartunnel.


Wechselhafter Nordatlantik: morgens klare Sicht, mittags dichter Nebel und Brandung – nicht ungewöhnlich auf den Färöern.
Wechselhafter Nordatlantik: morgens klare Sicht, mittags dichter Nebel und Brandung – nicht ungewöhnlich auf den Färöern.
Auswahl: Mehr als 5.000 Artikel sind bei PM auf Lager.
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Während die Weltöffentlichkeit voller Begeisterung auf den einzigartigen Unterwasserkreisverkehr blickte und der spektakulär beleuchtete Tunnel zum Internetstar wurde, bedeutete es für Hanus vor allem eines: „Ich sparte so von einem Tag auf den anderen noch einmal 30 Minuten Fahrzeit ein.“ Pro Strecke wohlgemerkt. Während Hin- und Rückfahrt sich vorher auf etwa 140 Kilometer summierten, sind es nun nur noch rund 80 Kilometer.



Weniger Zeitdruck.

Ob Wind, Regen, Schnee oder Glätte – alles konnte auf den 70 Kilometern nach Klaksvík dazwischenkommen. Plus: „Wir mussten früh los um noch vor der Rush-Hour wieder in Tórshavn zu sein“, erinnert sich Hanus. Rushhour? 52.000 Einwohner leben auf dem Archipel im Nordatlantik. Die meisten Arbeitsplätze befinden sich in der Hauptstadt Tórshavn. „Und viele müssen pendeln.“ Kein Wunder, dass insgesamt rund 42.000 Fahrzeuge auf den Inseln zugelassen sind.



„Ich habe jetzt deutlich weniger Zeitdruck. Dafür liebe ich den Tunnel“, sagt Hanus während er unter den beleuchteten Torbögen am Tunneleingang hindurchfährt. Die frostige Dunkelheit wird von bläulichem Licht abgelöst. Hanus lässt den Arocs die fünf Prozent Gefälle des Tunnels hinunterrollen. Immer wieder passiert er verschiedenfarbig beleuchtete Passagen. Und dann, nach etwa acht Kilometern, sieht man ihn: den Kreisverkehr unter dem Meer. Mit rotem und blauem Licht und einer Stahlskulptur in Szene gesetzt. Hanus nimmt die Ausfahrt in Richtung Kláksvik. „Touristen drehen auch gern einmal eine Extrarunde.“ Er selbst muss das nicht, immerhin fährt er in gut zwei Stunden erneut durch den Tunnel. „Und morgen auch wieder“, sagt er und grinst. Denn er weiß, dass der Tunnel für ihn mehr ist als nur eine Attraktion.


Tunnel auf den Färöern.

Die Inselgruppe der Färöer bestehen aus 18 Inseln. Wichtige Verbindungen zwischen den Inseln sind Fähren und sogar Helikopterflüge. Seit den 1960er-Jahren bauen die Färöer Tunnel, um auch die entlegensten Dörfer und Ortschaften näher an die größeren Orte wie Tórshavn oder Kláksvik heranrücken zu lassen. Vom einspurigen Tunnel, der ein unzugängliches Tal erschließt, bis hin zum hochmodernen, ehrgeizigen Projekt, das ganze Inseln miteinander verbindet: Mehr als 20 Tunnel wurden in den vergangenen fast 60 Jahren realisiert. Stürmische Seepassagen und aufwendige Passüberquerungen werden auf diese Weise immer häufiger vermieden.


Zweimal täglich passiert Hanus den Eysturoyartunnel.
Zweimal täglich passiert Hanus den Eysturoyartunnel.
Lichtkonzept: Nicht nur der Kreisverkehr, auch weitere Passagen des Tunnels sind atmosphärisch in farbiges Licht getaucht.
Lichtkonzept: Nicht nur der Kreisverkehr, auch weitere Passagen des Tunnels sind atmosphärisch in farbiges Licht getaucht.
Eine Stahlskulptur des Künstlers Tróndur Patursson betont die Mitte des Kreisverkehrs.
Eine Stahlskulptur des Künstlers Tróndur Patursson betont die Mitte des Kreisverkehrs.

Der Eysturoyartunnel.

Unberechenbares Wetter und eine enorme Meeresströmung behindern den Schiffsverkehr zwischen den beiden größten Inseln der Färöer: Stremoy und Eysturoy. Entlastung bringt der Eysturoyartunnel. Mittels Sprengvortrieb ausgeführt, einer Kombination aus Sprengen und Bohren, überwindet er etwa elf Kilometer und führt an der tiefsten Stelle mit bis zu fünf Prozent Gefälle auf 189 Meter unter dem Meeresspiegel hinab. Für den Tunnel wurde mehr als eine Million Kubikmeter Gestein bewegt. 138.000 Lkw-Fahrten waren während der zweijährigen Bauzeit für den Abtransport des Materials nötig. Danach ging es an den Ausbau: Unter anderem wurden 40.000 Kubikmeter Spritzbeton verarbeitet und rund 150 Kilometer Kabel verlegt. Umgerechnet 360 Millionen Euro kostete die Umsetzung des bisher größten Infrastrukturprojekts der Inseln. 5.000 Fahrzeuge durchquerten den Eysturoyartunnel im Jahr 2021 täglich.


Stadt, Land, Schaf: Die Hauptstadt Tórshavn liegt geschützt in einer Bucht im Südwesten der Insel – umgeben von steilen Bergen und zahlreichen Schafweiden.
Stadt, Land, Schaf: Die Hauptstadt Tórshavn liegt geschützt in einer Bucht im Südwesten der Insel – umgeben von steilen Bergen und zahlreichen Schafweiden.
Der Múlafossur ist einer der spektakulärsten Wasserfälle der Färoer.
Der Múlafossur ist einer der spektakulärsten Wasserfälle der Färoer.

Fotos: Sebastian Vollmert
Video: Martin Schneider-Lau

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