Warum der eActros rauschen kann – und muss

Reportage

Dem richtigen Ton auf der Spur.

Geräusch‑Experte Dr. Kamal Idrisi sorgt beim eActros für einen sicheren Sound. Ein Besuch auf der Akustikmessstrecke im baden-württembergischen Münsingen.

Werkstattmitarbeiter Sebastian Theobald (l.) gibt dem eActros auf Anweisung von Dr. Kamal Idrisi die Sporen.


Münsingen, ein ehemaliger Truppenübungsplatz auf der Schwäbischen Alb. Vogelgezwitscher, Grillenzirpen, ein leiser Wind geht über die traumhaft schöne Landschaft. Ansonsten hört man – nichts. Die perfekte Umgebung für Dr. Kamal Idrisi, Teamleiter Außengeräusche bei der Daimler Truck AG, und seine Mitarbeiter. Wozu? Um den eActros akustisch zu messen. Und zu überprüfen, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden. „Alles das muss getestet werden. Unsere Teststrecke in Münsingen ist dafür ideal, weil es weder Verkehrs-  noch anderen Lärm und nur sehr wenige Außengeräusche gibt“, erklärt Dr. Idrisi. „Das ist eine Seltenheit.“



Im Fokus: Sicherheit.

Alle Fahrzeuge müssen, was die Lautstärke betrifft, außengeräuschseitig sowohl Mindest- als auch Maximalkriterien erfüllen. Elektrofahrzeuge, die extrem leise sein können, erfüllen diese Anforderungen bei geringen Geschwindigkeiten bis 20 Kilometer pro Stunde bisweilen nicht. „Gerade in der Stadt wird ein so leises Fahrzeug wie der eActros akustisch nahezu unsichtbar“, so Idrisi. Ein Sicherheitsrisiko. Ab wann ein künstlich generierter Sound, das AVAS (Acoustic Vehicle Alerting System), benötigt wird, legt die EU-Richtlinie zur Sicherheit von Elektro- und Hybridfahrzeugen „UN ECE R 138.1“ fest.


Das AVAS im eActros. Je ein Lautsprecher befindet sich vorn und hinten am Fahrzeug.


Klang des AVAS.

Werkstattmitarbeiter Sebastian Theobald bringt in Münsingen einen eActros auf die ISO‑zertifizierte, rund 500 Meter lange Messstrecke. Wie nehmen Fußgänger den eActros in der Lautstärke wahr? „Grundlegende Fahrzeuggeräusche wie das Beschleunigen und Verzögern machen wir beim eActros über das AVAS erkennbar – durch ein geschwindigkeitsabhängiges Steigen oder Senken der Tonhöhe, also des Pitches“, erklärt Dr. Idrisi. Ab Tempo 20 kommt das Reifen-Fahrbahn-Geräusch hinzu, das den Geräuschpegel automatisch anhebt. Idrisi ergänzt: „Mercedes‑Benz Trucks legt besonderes Augenmerk auf das Thema Sicherheit. Wir stellen darum an das im eActros verbaute AVAS deutlich höhere Ansprüche als vom Gesetzgeber gefordert.“


Bereits im Stand „meldet“ sich der eActros.


„Das im eActros verbaute AVAS erfüllt deutlich höhere Kriterien als vom Gesetzgeber gefordert.“

– Dr. Kamal Idrisi, Teamleiter Außengeräusche bei der Daimler Truck AG


Am Messpunkt stehen eine Wetterstation, Lichtschranken und Mikrofone bereit. Die Mikrofone stehen zwei Meter von der Fahrbahnmitte entfernt – so wie Fußgänger am Straßenrand. Verbindungskabel übertragen die Signale zur Messwarte, ein kleines Häuschen mit spitzer Front, „damit der Schall umgelenkt und nicht auf die Fahrbahn reflektiert wird“, erklärt Idrisi. „Somit werden die Messwerte nicht verfälscht.“ Die Stärke des Schalls, die Lautstärke, wird in Dezibel gemessen. Wie stark das Ohr die Lautstärke wahrnimmt, gibt man in dB(A) an.


Wetterstation im Einsatz. Windgeräusche spielen bei den Messungen eine wichtige Rolle.
Wetterstation im Einsatz. Windgeräusche spielen bei den Messungen eine wichtige Rolle.

Ein Sound entsteht.

Wie genau entsteht sein Vorwärtssound, also das Rauschen im Stand und während der Anfahrt bis Tempo 20? „Für das AVAS im eActros haben wir auf dem Mercedes‑Benz Pkw-Sound aufgesetzt“, erklärt Dr. Idrisi. Für den Basissound wird ein rauschähnlicher Geräuschanteil mit einem Ton vermischt und geschwindigkeitsabhängig über den Frontlautsprecher abgespielt. „Wichtig ist dabei, dass der Sound sich wertig anhört und die Marke Mercedes‑Benz nach außen repräsentiert“, sagt Idrisi. Nach den Voruntersuchungen ging es auf die Messstrecke in Münsingen. Hier prüften die Daimler Experten das System auf Herz und Nieren.


Auch Prototypen des eActros 600 werden auf dem Versuchsgelände auf der Schwäbischen Alb getestet. Der Elektro-Fernverkehrs-Lkw soll 2024 serienreif sein und eine Reichweiter von etwa 500 Kilometer ohne Zwischenladung haben.


Der Sound für das Vorwärtsfahren ertönt aus einem Lautsprecher mit integrierter Steuereinheit. „In etwa hört es sich wie ein leises Lüftergeräusch an. Vom Fahrer ist das nicht als künstlich oder störend wahrnehmbar, sondern fügt sich harmonisch in die Umgebung ein.“ Und: Der eActros ist bereits im Stand hörbar. „Für uns war das ein Sicherheitskriterium, da so beispielsweise ein blinder Fußgänger einen stehenden, aber fahrbereiten Lkw akustisch wahrnehmen kann.“


Exakte Messungen – exakte Anweisungen: Kamal Idrisi an der Messstrecke.
Exakte Messungen – exakte Anweisungen: Kamal Idrisi an der Messstrecke.

Welche Voraussetzungen müssen auf der Akustikmessstrecke noch gegeben sein? „Tatsächlich kann bei nasser Fahrbahn das Reifen‑Fahrbahn‑Geräusch das Fahrzeug und auch das AVAS dominieren. Für die gesetzliche Prüfung muss daher der Fahrbahnbelag trocken sein, um das Fahrzeug mit geringem Reifen‑Fahrbahn‑Geräusch zu prüfen.“ Ein Fahrzeug mit AVAS muss bei einer Geschwindigkeit von 10 Stundenkilometern mindestens 50 dB(A) (leise Radiomusik), bei 20 Stundenkilometern 56 dB(A) (Radiomusik in Zimmerlautstärke) laut sein.


Ein leises Pflaster: die Akustikteststrecke auf der Schwäbischen Alb.


Und wie sieht die Zukunft der Soundentwicklung für den eActros aus? Es gebe sehr viel Kundenfeedback, sagt Dr. Idrisi. „Diese Erkenntnisse lassen wir selbstverständlich in die zukünftige AVAS-Entwicklung einfließen.“


Fotos & Video: Alexander Tempel

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